Dr. Gabi Ivan
 
     
 
Kurt Buchwald / Georg Krause DIE ARBEIT Fotografien 1982 bis 1989
Studio im Hochhaus, Eröffnung 7. Nov. 2009

Uns begegnen in dieser Ausstellung Fotografien aus den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts: von Kurt Buchwald und Georg Krause und von weiteren 12 Autoren aus einer fast vergessenen Fotomappe. Eine Zeitreise 25 Jahre zurück - zum Thema Arbeit, fotografiert in einem nicht mehr bestehenden kleinen Staat, in dem der Arbeitende, der Werktätige und besonders der Produktionsarbeiter als der echte Vertreter der Arbeiterklasse ideologisch und bildkünstlerisch im Zentrum stand. Sein Bild in den Illustrierten, den Tageszeitungen, auf den Plakaten zur Volkswahl, zum 1. Mai oder zum Tag der Republik ebenso wie in den Nachrichten der Aktuellen Kamera hatte sich fast ausnahmslos im gewünschten Klischee des optimistischen, zupackenden, um Lösungen ringenden Strahlemanns und Zeitgenossen von nebenan festgefahren. Unerträglich hohl und abgegriffen formulierten die öffentlichen Arbeiterbilder ein Wunschbild, das niemanden mehr erreichte. Viele Fotojournalisten unternahmen mehr oder weniger erfolgreich Unterwanderungsversuche, die zuweilen auch die Redaktionsbarrieren überwanden.

Schon seit Ende der 70er Jahre machten sich junge bildende Künstler und - wie hier in dieser Ausstellung - Fotografen auf die Suche nach anderen, wahrhaftigeren Bildern, nach Gegenbildern ohne Pathos und Schönfärberei und schleusten die Ergebnisse unter dem Label Kunst in die öffentliche Bilderwelt ein. Daß oftmals ein öffentlicher Auftrag dafür geeignet war, lässt sich an den Fotografien aus der Mappe "Daß es sich bewegt!" gut belegen.

Es handelt sich um die Ergebnisse des 1. und einzigen Fotografie-Symposiums in der DDR, angeregt und initiiert von dem Karl-Marx-Städter Fotografen Ralf Rainer Wasse, realisiert 1985/86 als Auftragsarbeit des VE Verkehrskombinates Karl Marx Stadt.

Das Erscheinen dieser Mappe und die dazugehörige Ausstellung machten damals Furore. Sie begeisterten durch ein neues fotografisches Sehen, das Christoph Tannert im Vorwort zur Mappe mit den Worten "neuer Präzisionismus" umschrieb. Die Fotos wurden als frische Munition an der Bilderfront begriffen, denn das Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit wurde damals oft als ein Kampf der Bilder geführt. Endlich war die ideologische Wirklichkeitsbestätigung oder besser: Wirklichkeitsbeschwörung des stets präsenten Themas ‚Arbeit und Arbeiter' in der Fotografie ausgehebelt, waren die Einseitigkeiten, Eintönigkeiten in ästhetisch freie Formulierungen umgedeutet und ein neues Sehen in Gang gebracht - und zwar mit damals neuen, wenn auch nicht voraussetzungslosen Sichten, Aufnahmetechniken und Methoden - sperrige, absichtsvoll banale Motive, scheinbar nebensächliche Beobachtungen, die nicht selten das Bild des Arbeiters ganz verweigerten, ironisierende Porträts (den Werkdirektor eingeschlossen) oder solche in neuartigen Bildkombinationen, extreme Nahsichten, Bildfragmente, Mehrfachbelichtungen etc. etc. - und das alles im damals gängigen klassischen wie expressiven Schwarzweiß! Das ergab Mitte der 80er Jahre eine explosive Mischung.

Quantitativ beteiligten sich an dieser Mappe mehr Künstler aus dem sächsischen Raum, die meisten aus Karl-Marx-Stadt wie Gundula Schulze, Klaus Elle, Florian Merkel, Kurt Buchwald oder Ralf Rainer Wasse, aber auch Christian Borchert aus Dresden, aus Berlin Roger Melis, Thomas Florschütz und weitere, auch heute kaum mehr bekannte Fotografen und Fotografinnen.
Die Fotomappe, über die noch mehr zu sagen wäre, bezeichnet in dieser Ausstellung auch die Experimentierlust und Vitalität der bildnerischen Subversion eines seit dem Bitterfelder Weg totgeglaubten und abgedroschenen Themas durch die Jungen, zu denen damals eben auch Kurt Buchwald und der nicht am Symposium beteiligte Georg Krause mit ihren freilich gegensätzlichen
Ansätzen gehörten. .

Kurt Buchwald stärkte bereits in der Mappe die kleinere Fraktion der Konzeptualisten, Aktionskünstler und Performer, die die fotografischen Bilder als Produkte und Vehikel eines Prozesses auffassten, der ihnen wichtiger war als das Bildermachen selbst. Sein Mappen-Beitrag hieß "Zeichen-Transport", eine Weg-Visualisierung, die Zeit, Prozesse und Bewegungen in Fotos, Texten und Tabellen erfasste.
Kurt Buchwald ist damals ein junger, kraftvoll und vielseitig agierender Aktionskünstler, der sich Ende der 70er Jahre autodidaktisch auf den Weg zur Kunst gemacht hatte. Durch die Ideen von Joseph Beuys beflügelt wartet er ab Ende der 1970er Jahre mit einer völlig neuen Wirklichkeitswahrnehmung auf. Die Rolle des Künstlers, des Bildes und des Dargestellten reißt er aus der Tradition und mischt alles zu einer modernen Poetik und Sprache.
Wenn er nach Beuys ganz logisch postuliert "Jeder Arbeiter ist ein Künstler!", so bildet dies auch die Basis für seine hier ausgestellte Serie "Asphalt Arbeit", entstanden 1987 beim VE Tiefbau Kombinat Berlin. Wenn wir diese Bilder und ihre zwischen Dokument und Kunstbild changierende Präsentation betrachten, erfahren wir viel über das Sehen des Machers selbst: Strukturen und Eigenschaften des heiß dampfenden und erstarrenden Teers, die archaisch wirkende Zauberkraft der Arbeiter, dieser Derwische oder Schamanen, die das Material wie Dompteure beherrschen und eine geheimnisvolle Beziehung mit ihm eingehen, die der herkömmliche Begriff "Arbeit" nicht zu fassen vermag. Auch mit den imposant zischenden und fauchenden Teer-Maschinendrachen scheinen sie im Bunde zu sein. Schauen Sie nur auf die Tanzperformance des halbnackten Arbeiters mit dem Asphaltbohrer, festgehalten in einer der vielen strengen, geradezu filmischen Reihen kleinformatiger Aufnahmen. Eine eigenartige Ornamentik greift hier zuweilen Raum.
Die Porträts der ernst und konzentriert blickenden Arbeiter sind in Fotos aller ihrer Gerätschaften, der durch sie bewegten Materialien sowie fast aller Arbeitsschritte gebettet. Ja, diese Bilduntersuchungen könnten tatsächlich auf die Beschreibung eines "Mysteriums Arbeit" hinauslaufen, wie es Kurt Buchwald selbst ausdrückte, Arbeit an sich, vor allem in ihrer aktionistischen, kreativen Tendenz. Entrücktheit und Zeitlosigkeit dieser Bildergruppe scheinen aus heutiger Sicht auch als Zeichen der Verweigerung zu funktionieren. .

Georg Krause dagegen, ursprünglich in der Oberlausitz beheimatet und zunächst im Braunkohlentagebau arbeitend, verschreibt sich nach seinem Fotografie-Studium in Leipzig der immer wieder aus neuen Impulsen schöpfenden klassischen Fotografie-Tradition.

Er sieht sich selbst als "Menschenfotograf". Ihn interessiert früh die Arbeitswelt - "Betriebsalltage", wie er seine umfangreichste Serie nennt. Ab Beginn der 1980er Jahre fotografiert er exzessiv seine "Bilder aus der Produktion". Ihm ist der Arbeiter nicht das unbekannte Wesen, er kennt alle Facetten von dessen "Leben bei der Arbeit", wie es Heiner Müller nennen würde. Das Foto der endlosen Menschenmasse, wie sie sich morgens als "Kolonne Mensch" (G. Kunert) durch den Bahnhof Schöneweide schiebt, lässt den einzelnen darin gelten - wie in einem Gruppenporträt. (Ikonographisch ist es mit vielen anderen Bildern der Fotografie- und Kunstgeschichte verbunden.) Georg Krause kommt es gerade auf die individuellen Physiognomien an, wie auch seine fast konzeptuell zu nennende, beeindruckende Fotoreihe der ‚Essenausgabe' zeigt.

Abenteuerlich muten uns heute die Interieurs an: Produktionshöhlen, die aus den Anfängen der Industrialisierung zu stammen scheinen, voller Dröhnen, Klopfen, Gerüche und Schwärzen. Auch hier eine auffällige, aber anders als bei Kurt Buchwald geartete Beziehung von Mensch und Maschine: der Arbeiter und sein "Riesenspielwerk" (G. K.).

Günter Kunert schrieb in einem Gedicht:
"Auf den Eisenelefanten reiten und den
Stahldrachen: ein Spaß
für Leute aus Fleisch und Blut, die
im Motor das Pochen ihres Herzens hören, im
Krangeschwenke ihre Arme spüren ...".

Dieser lyrische Hochgesang klingt sehr nach Industrieromantik, die Georg Krause in seinen Aufnahmen nicht anstrebt, obwohl, wie er schreibt, "die Seele immer im Spiel" ist. Bei allem erstaunt doch heute, wie sehr einverstanden und selbstbewusst diese Menschen auf Georg Krauses Bildern daherkommen, wie gut sie drauf waren, wenn genug Material da war und die Arbeit "flutschte".
Noch eine Anmerkung zu einem der beiden Arbeiter auf dem nahezu lebensgroßen Doppelporträt, aus einer Truppe wie der Brigade Balla. Gemeint ist der Schmelzer Klaus aus dem "Schleuderguß" (Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke), ein ungestümer, direkter Typ. Jetzt ist er ca. 70 Jahre alt und erzählte der Künstlerin Beate Jorek in einem Interview über sein Arbeitsleben im VEB BMHW. Trinkgelage und Prügeleien erwähnt er als Jugendsünden, beschreibt dann aber seine gewachsene Verbundenheit mit dem Werk und den Kollegen, spricht von dem guten, fast freundschaftlichen Verhältnis zu den Vorgesetzten, davon, daß jeder damals wusste, was der andere verdient und davon, daß körperliche Arbeit heute ja verpönt ist, kein Ansehen mehr hat. Dreimal wurde er Arbeiter des Jahres, beim ersten Mal erhielt er als Prämie einen modernen Kühlschrank, beim zweiten Mal bekam er ein vierspuriges tschechisches Tonband geschenkt, und beim dritten Mal wurde ihm und seiner Frau eine Reise in den Kaukasus geschenkt, wo er zum ersten Mal im Leben Palmen am Schwarzen Meer sah.


Diese Art von Fotografien findet man heute nicht mehr, obwohl es die Arbeiter und die Arbeitswelt noch gibt - trotz Krise, trotz Ende der Arbeitsgesellschaft, trotz Wandel der Arbeit. Sicher, viele Menschen simulieren körperliche Arbeit in den Fitness-Studios oder auf dem Sportplatz, und Fotos von Vertretern des sogenannten Prekariats gibt es zuhauf.

Aufnahmen von Arbeitern finden wir vor allem in den Zeitungen, heute gerade wieder als Streikende. Aber wer macht die Bilder von den Arbeitenden in den unterbesetzten Werkstätten der S-Bahn, in den Opel-Produktionshallen, in den Quelle- oder Otto-Lagern? Hat Schmelzer Klaus vielleicht recht? Ist dieses Thema für die Kunst heute erledigt?

 
     
 
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