| Grenzen
des Sehens oder
- der Beobachter blickt in die Einsamkeit des Raumes und fragt, was ist das
was ich da sehe? Die Verwirrung ist groß. . Schein
oder Sein? DER
LICHT-EIN-FALL Wir
sehen nur einen verschwindend kleinen Teil der Welt in einem eng begrenzten Spektralbereich
des Lichtes. Unsere Wahrnehmung ist beschränkt, unser Auge ist ein Punkt
im Universum. Der Weltgeist, sofern es ihn überhaupt gibt, hat den Überblick.
Er sieht alles gleichzeitig, so verschmelzen Raum und Zeit. Allerdings stellt
sich hier die Frage, ob dies dann noch ein Sehen ist? Bei den alten Griechen
ist der wahre Seher blind. Er sieht was wir nicht sehen. Hier kehrt sich unsere
Vorstellung von Welt und Sichtbarkeit um. Doch was ist das Unsichtbare, die wahre
Welt, die wir nicht erkennen? Ja, wie funktioniert das Sehen überhaupt? Unser
Sehen ist vergleichbar mit dem Scannen. Die Welt die wir erkennen ist reflektiertes
Licht. Wie der Gegenstand wirklich aussieht, bleibt ein Geheimnis, es sei denn,
wir können die Kategorie der wahren Wahrnehmung bestimmen. Nichts ist normal,
nichts ist selbstverständlich. Die Welt, die wir sehen, ist Licht in einen
eng begrenzten Bereich. Es entsteht ein Bild, eine Konstruktion, in der wir uns
gut zurechtfinden. Je nachdem wie das Licht auf den Gegenstand fällt, nehmen
wir ihn wahr. Jedoch kann sich das laufend ändern, je nachdem wie das Licht
einfällt. Der Blinde hat dieses Problem nicht, denn er benötigt kein
Licht, um den Gegenstand wahrzunehmen. Der Gegenstand bleibt wie er ist, mit seinem
Tastsinn nähert er sich dem Objekt unmittelbar. Die Begegnung ist direkt,
seine Vorstellung authentisch, nicht übertragbar, eine Kopie nicht möglich.
Es entsteht eine Intimität mit dem Objekt, ein individuelles Gefühl.
Die Ambivalenz des Gesehenen hat einen weiteren Aspekt. Wir, die wir Licht
zum wahrnehmen benötigen, spielen mit den Sinneseindrücken des Sehens.
Der normale Zustand wird durch ungewöhnliche Sichten aufgemischt. Dabei ist
nicht klar, ist das noch der uns bekannte Gegenstand? So haben wir ihn noch nie
gesehen, wir sind überrascht, entzückt oder enttäuscht. Wir glauben
neue Wahrheiten wahrzunehmen. Aber es ist nur der LICHT - EIN - FALL, der Gegenstand
bleibt wie er ist. Auch der Ausschnitt bestimmt das Gesehene. Dazu experimentiere
ich seit 2002 mit einem Rohr "Im Kreis der Wahrnehmung". Genau wie der
Blinde wähle ich nicht eine Distanz beim Wahrnehmen, sondern suche die Nähe.
Das Rohr wird auf den Gegenstand aufgesetzt. Ist er eben, kann wenig Licht über
die Ränder eindringen, ich erkenne nichts. Mein Eindruck wird vom Kippwinkel
des Rohrs zum Gegenstand, der daraus resultierenden Beleuchtung und seiner Oberflächenstruktur
bestimmt. Dabei werden die Grenzen der Wahrnehmung sichtbar, die durch das Licht
(Überstrahlung) oder die Verdeckung (kein Licht) entstehen. 2012 wurde
ich von Mitgliedern der ehemaligen Künstlergruppe Clara Mosch, die von 1977-82
in Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt) bestand, zu einem Plain air nach Zella-Mehlis
eingeladen. Die Gruppe suchte in der DDR mit Happenings, Landart-Aktionen und
Performances nach einen neue Kunstbegriff. Ich fühlte mich ihnen verbunden,
da ich damals meinen Weg in die Kunstszene fand. In der thüringischen Kleinstadt
waren etwa 20 Künstler eingeladen und ich beschloss diese Künstler nach
meiner Konzeption "Im Kreis der Wahrnehmung" zu portraitieren. Allerdings
benutze kein Rohr sondern baue dafür einen Kasten, im Grunde ein viereckiges
Rohr, das ich an die Kamera befestige. Der Effekt ist der gleiche, nur das jetzt
ein Rahmen, der zu einer Öffnung hinführt, sichtbar wird. Die Personen
schauen in den Kasten oder vollführen mit ihrer Hand verschiedene Gesten. Ganz
anders wirken die Aufnahmen der Oberflächen. Erst nach einer 2. Durchsicht
habe ich mich dafür interessiert. Hier gestaltet auch der Schatten des Kastens,
den ich an der Kamera montiert habe, das Bild. Licht drängt von den Rändern
ein, in der Mitte entsteht Dunkelheit. Kasten und Rohr funktionieren ähnlich.
Durch ihr Aufsetzten auf den Gegenstand habe ich den Eindruck, als dringen sie,
bzw. die Kamera in den Gegenstand ein. Ich nenne diese Art zu Fotografieren "Archäologie
der Fläche". Abschließend stellt sich die Frage nach Raum und
Zeit, auch das sind keine Selbstverständlichkeiten. Über eine Vielzahl
von Ausschnitten konstruiert der Blinde den Raum. Welche Erfahrung macht er mit
der Zeit? Die Sehenden sehen den Raum bereits mit einem Blick, sie müssen
ihn nicht zeitraubend mit dem Tastsinn erobern. Aber auch wir fügen Bilder
zusammen und erhalten dadurch einen Überblick. Zusammenfassend kann ich sagen:
Wir sehen und verharren, der Blinde ertastet und bewegt sich von Gefühlspunkt
zu Gefühlspunkt. Wir bleiben auf Distanz, der Blinde verbindet sich mit der
Welt. Ganz typisch für das Blindsein ist die Unmittelbarkeit. Der Blinde
kann nicht sehen was auf ihn zukommt, reagiert erst, wenn er darauf stößt.
Das scheint kein Nachteil sein, denn Blinden wird eine besondere Intuition nachgesagt.
Im Altertum galten Blinde als besondere Seher, sie wurden als Orakel befragt.
Blinde haben einen anderen Zugang zur Welt. Für sie existiert kein LICHT
- EIN - FALL. Damit will ich keine Negativbewertung des Sehens herbei reden. Genießen
wir weiterhin die vielen ungewöhnlichen Sichten. Seien wir dabei überrascht,
entzückt oder auch enttäuscht. Ist es nicht schön, immer wieder
neue Wahrheiten wahrzunehmen, obwohl es sie doch gar nicht gibt?
Kurt
Buchwald, Eröffnug der Ausstellung, Berlin, den 06.09.2017
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| Die
Welt als Scheibe & Rohr Als
ich 1988 mit einem Schild "Fotografieren verboten!" auf dem Roten Platz
in Moskau stand, war das der Beginn einer Aktion, die 13 Jahre dauern sollte.
Während dieser Zeit, in der ich das Fotografieren öffentlich untersagte,
habe ich natürlich weiter fotografiert. Ein Verbot reizt zum Widerspruch.
Das sah die Volkspolizei 1989 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin anders, ich
wurde festgenommen. Parallel
entstand eine Arbeit, die auch zu Widersprüchen führte, das Ausblenden.
Die Erzeugung von Bereichen in denen nichts zu sehen ist, wirkt wie ein Bildverbot.
Die Kritik bezeichnete diese Fotos als Störbilder. Ich empfinde sie harmonisch.
Sie stellen die Einheit zwischen der Sicht- und Unsichtbarkeit her. Um
die Legitimität meiner Arbeit zu unterstreichen, habe ich 1993 das Amt für
Wahrnehmungsstörung gegründet. Es gibt Bekanntmachungen, Anordnungen
und Verbote heraus oder beschäftigt sich mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen.
Die komischen Begebenheiten, die ich inszeniere, haben natürlich auch einen
ernsten Hintergrund. Ich
begann zu experimentieren, und zerlege hypothetisch den Apparat. Eine Scheibe
wurde als Blende vor dem Objektiv befestigt, so dass bei jedem Bild der Apparat
einen Teil von sich d.h. die Blende, bzw. immer das Gleiche plus etwas Anderes
aufnimmt. Um die Relativität des Bildes zu demonstrieren, ging ich zur Aufnahme
von Streifenmuster über. Es entstanden Interferenzbilder in der Kamera für
die es keine Gegenständlichkeit gibt. Aus
den Blenden begann ich dann mannshohe Objekte aus Stahl zu bauen. Ich habe sie
Wahrnehmungsinstrumente genannt und zwischen die Ausstellungsbilder gestellt.
Als nächstes wurde das Kameragehäuse als begehbare "OM"-Beobachtungsstation
eingerichtet und das Objektiv als durchschaubare Hülse verwendet. Mit diesen
Röhren konnte ich den Kreis der Wahrnehmung durchbrechen und in den Mikro-
bzw. Makrokosmos eindringen. Ich sah neue Welten, Körper und Oberflächen. Schließlich
gelang es mir, Kamera und Benutzer vollständig zusammenzuführen. Ich
entwarf eine Kameraröhre, die man aufsetzt, bzw. den Kopf hineinsteckt. Der
Röhrenmensch (RM) war geboren. Seitdem verbreitet er sich über die ganzen
Welt und gründetet neue Staaten und die Röhrenpartei, "Wahl-Alternative
Röhre & Mensch", abgekürzt: W.A.R.U.M. Text
zur Ausstellung im Museum Junge Kunst, Frankfurt/Oder vom 03.06. bis 05.08.2007
Kurt
Buchwald
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Vom Bildverbot
zum Röhrenmenschen
Eine wichtige Rolle in meiner Arbeit spielt das Untersuchen, Stören, Agieren
und Konstruieren - das Hinterfragen des Mediums Fotografie. Begonnen hat meine
künstlerische Tätigkeit mit der Aktion. Das ist wohl auch der Grund,
warum ich mich gefragt habe, was mache ich beim Fotografieren? Eine Antwort war
die Handlung: Finden - Fotografieren - In Besitznehmen - Wegtragen, Berlin 1984.
Ich fotografiere einen Gegenstand, hebe ihn auf und siehe da: er hat am Ort, wo
er lag, im Sand ein Bild hinterlassen. Diese Doppelung zeigt, dass das Herausreißen
des Gegenstandes aus dem Zusammenhang, das Aufheben und Loslösen, ein zentraler
Akt ist. Das Bild im Sand bzw. der Lichtabdruck in der Kamera scheint die Abbildfunktion
und die Objektivität der Fotografie zu bestätigen.
Ein
anderer Punkt meiner Arbeit ist das Sender-Empfänger-Prinzip, die Übertragung
von Information, das Wechselspiel von Träger und Getragenem. In Aktionen
wie Wirklichkeit-Transport-Abbildung, das Verbrennen eines Fernsehers 1980, habe
ich versucht, das darzustellen. Es ist mir wichtig, im Bildraum anwesend zu sein.
Das vor und hinter der Kamera, das Hineinspringen ins Bild habe ich häufig
thematisiert. Das Körperliche des Fotografierens wird übersehen, da
es immer nur um die Bilder geht. Ein Ausgangspunkt für zahlreiche andere
Arbeiten wurde die Serie Störbilder-Stehbilder, Berlin 1984. Ich markiere
einen Ort mit dem eigenen Torso, dessen schwarze Silhouette das Bild auslöscht.
Eine absurde Vorstellung für einen Fotografen, dem es um das Zeigen und Enthüllen
geht. Jede Aufnahme ist eine Störung des Ortes durch den Bildermacher. Das
kann er klein halten oder übertreiben. Eine andere Seite ist, dass ich mit
dem Eingriff eine Verbindung schaffe, mit dem Gegenstand und dem Ort zu verschmelzen.
Da im Ergebnis die Sichtbarkeit gegen Null läuft, wäre ich bei Malewitsch
angekommen. Aus dieser Bildidee entstand die Serie: Ein Tag in Ostberlin, 1987,
die die Berliner Mauer thematisiert. Kein normaler Mensch konnte von Osten aus
an der Grenze die Mauer fotografieren. Ich habe dann mit der Verdeckung eine Form
gefunden, die das sinnbildlich rüberbringt, ohne dass ich die Mauer zeige
- der schwarze Torso, der die Aussicht verstellt. In diesem Fall bin ich es nicht
selbst, es ist ein Double, das sich in der Bildserie vom Brandenburger Tor bis
zum Alexanderplatz in die Aufnahme drängt.
Das Bildtableau leitet über in eine andere Arbeit, die Unscharfen Porträts
Berlin 1989. Ich stelle die Schärfe auf den Hintergrund und fotografiere
weiter, mache ein Porträt, als wäre nichts geschehen. Die Methode, bewusst
einen Aspekt zu negieren, führt zu ungewohnten Ergebnissen. Ich wurde als
"Störbildner" bezeichnet. Dann habe ich den Schritt vollzogen,
mit der Aktion Fotografieren verboten! das Bildermachen zu unterbrechen. Da war
es dann logisch, sich Fotograf oder Nichtfotograf zu nennen, je nachdem, was man
im Moment für richtig hält. Ich liebe die Negation, sie ist ein Mittel,
um festgefahrene Strukturen auszuhebeln. Natürlich ist es schwierig als Fotograf,
das Nichtfotografieren darzustellen. Ich habe es mit einer Aktion gemacht. Die
wurde dann schnell zur Interaktion, die sich ergibt, wenn ich anderen Leuten ein
Verbotszeichen hinstelle. Ich komme aus dem Osten, dort durfte man Vieles nicht.
Bildmonopol und Staatsmacht gingen Hand in Hand. Die Administration wachte über
die Sichtbarkeit und die Auslegung der Wahrheit. Was nicht genehmigt war, bleibt
unsichtbar, sozusagen der größere Teil des Eisberges. Um hier etwas
auszurichten, musste ich die Macht mit ihren eigenen Mitteln schlagen. Das habe
ich 1988 das erste Mal in Moskau auf dem roten Platz gemacht und dann 1989 an
der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Ostberlin. Als ein Volkspolizist das
Fotoverbotsschild sah, forderte er Umstehende auf, ihre Kamera wegzupacken. Begründung:
Sehen Sie nicht, hier ist Fotografieren verboten! Als ich dann 1993 die erste
kamerafreie Zone in Bamberg einrichtete, hat das niemand interessiert. Die Ungläubigen
wollten nicht verstehen, dass ein Virus die Fotomania auslöst. Das Fotoverbot
ging dann auf Reisen, von der Wüste Atacama, über Antalya in der Türkei,
Bangkok, Brasilia, bis zur Osterinsel. Insgesamt 13 Jahre sollte es dauern, bis
es mir zu viel wurde bei jeder Reise das Schild mitzunehmen. Da hatte ich die
Verbotspraxis bereits in das Amt für Wahrnehmungsstörungen integriert
und meinen Handlungsspielraum ausgedehnt. Es wurden pseudowissenschaftliche Untersuchungen
durchgeführt, Bekanntmachungen und Warnungen, herausgeben, die mit der Realität
nichts zu tun haben, aber plausibel klingen. Auf öffentlichen Straßen
und Plätzen wird die Leere mit Hilfe der Richterskala gemessen. OM-Beobachtungsstationen
wurden aufgestellt. Es gab den IM. Der OM, das ist der Offizielle Multiplikator,
eine Art Schilderhäuschen. Man kann hineingehen und wird beim Beobachten
nicht gesehen. Dann kommen die Röhrenmenschen ins Spiel. Das sind Leute,
die zu viel fernsehen und denen die Bildröhre am Kopf angewachsen ist. Sie
haben einen Tunnelblick. Der Lichtsack, oder Black bag over the head, ist
eine Form der Andenkenfotografie, die unsere amerikanischen Freunde in Irak erfunden
haben. Schwarzhören und Schwarzsehen können Sie jetzt ganz legal, einfach
den black bag überziehen und es kann beginnen. Ich habe das selbst probiert,
es ist eine bewusstseinserweiternde Erfahrung, eine Stunde den schwarzen Sack
über dem Kopf zu haben.
Womit
wir bei den Verdeckungsbildern Bilder + Blenden 1990-2000 wären. In dieser
Zeit habe ich eine schwarze Pappscheibe vor das Objektiv der Kamera montiert,
die das Bild auslöscht. Allerdings habe ich einen kleinen Sichtrand gelassen,
denn ich wollte nicht völlig blind agieren. Das war spannender und man konnte
sehen, wo die Aufnahme gemacht wurde. Die Form dieser Blende variiert nach Einsatz
und möglicher Aufgabenstellung. So habe ich Spalten und Öffnungen eingearbeitet
oder auch farbige Blenden verwendet. Hier wurde mir klar, dass die sichtbare Wahrheit
nur eine scheinbare ist, wenn ich das nicht hinterfrage. Eine Öffnung wird
bei den Blenden je nach Kameraeinstellung unterschiedlich groß wiedergegeben.
Dahinter steckt das Phänomen der Lichtbeugung und die Wellennatur des Lichtes.
Ich nutze es bei der Serie Interferenzen zur Erzeugung von Bildern, für die
es keine Realität vor der Kamera gibt, die im optischen System entstehen.
Dazu habe ich Streifen fotografiert und davor eine schwarze Dreieckblende positioniert.
Im Kamerabild werden die Streifen wie in einem Kraftfeld abgelenkt. In der Physik
gibt es den Versuch Lichtbeugung am Spalt, der zeigt, wie das Licht um den Gegenstand
wandert. Dadurch öffnet oder schließt sich der Spalt bzw. von einem
Gegenstand werden die Streifen bzw. die Lichtwellen abgelenkt. Zurück
zur alltäglichen Wahrnehmung: Das einfachste, im Bild anwesend zu sein, ist
die Hand hinein zu strecken. Sie kann durch ein Instrument verlängert oder
ersetzt werden, wie die Blende oder das Rohr, das ich bei meiner Bildserie Im
Kreis der Wahrnehmung verwende. Die Bilder, die dabei entstehen, können im
ersten Moment nicht gleich entschlüsselt werden. Wahrnehmungsinstrument und
die Aktion des Fotografen schaffen beim Aufsetzen der Röhre auf den Gegenstand
eine neue Bildstruktur. Die Voraussetzung war ein Grundelement der Kamera
als separates Wahrnehmungsinstrument einzusetzen. Dazu muss ich den Apparat als
Skulptur begreifen und das Fotografieren unterbrechen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung
wurden dann natürlich wieder fotografiert, wie eh ja alles in einem Foto
endet. Das Kameragehäuse wurde als begehbare Beobachtungsstation eingerichtet,
die Blende und schließlich das entkernte Objektiv ohne Linsen als Beobachtungsrohr
verwendet. 1993 habe ich das erste Observatorium eingerichtet. Der Ansatzpunkt
war, Realität direkt zu zeigen und nicht durch Bilder zu ersetzen. Wenn ich
durch eine Röhre die Welt betrachte, wirkt das Gesehene immer noch medial
durch die Eingrenzung. Aus dieser Installation ist dann der Röhrenmensch
entstanden, sozusagen ein verunglückter Rezipient, der den Kopf nicht aus
der Röhre bekommt. Seitdem muss er als RM (abgekürzt für Röhrenmensch)
sein Dasein fristen. Es wird mit der Kamera dokumentiert, wie er in den Urlaub
fährt, sich zuhause eine Suppe kocht, im Garten arbeitet, im Winter auf dem
Schlitten fährt usw. Es geht bis ins Fantastische, wenn er sich als Röhrenflügler
in die Luft erhebt. Da die Röhrenmenschen sich zahlreich vermehren, gründen
sie eine eigene Partei, die Wahlalternative Röhre und Mensch abgekürzt:
W.A.R.U.M. Auf den Wahlplakaten ist zu lesen Rudi Röhre wählen! oder
Röhren aller Länder vereinigt euch. Das ist dann bei einer Demo vor
dem Brandenburger Tor geglückt, sie haben ein zehn Meter langes Rohr hinbekommen.
Viele Röhrenmenschen wählen andere Parteien, weil sie nicht wissen,
dass sie Röhrenmenschen sind. Zur Bundestagswahl 2005 hatten die Röhrenmenschen
in einem Berliner Hinterhof im Wedding einen Hofstaat und ein Schattenkabinett
mit arabischer Schlosskulisse eingerichtet. In einen Video können sie jetzt
Rudi Röhre sehen, wie er bei einer Wettfahrt mit seinem Wahlmobil eine fahrbare
Blende vor sich her schiebt. Er wird gewinnen! Zum
Abschluss eine Frage aus dem Publikum: "Gab es irgendwelche unerwarteten
Erkenntnisse? Sie planen das ja alles konzeptionell eigentlich ganz gut durch
und bauen Apparaturen." Das Neue oder das Innovative heraus zu kitzeln,
das ist nicht immer so einfach und es kommt ja auch nicht, indem man sich schlafen
legt und am nächsten Tag eine Idee aus einem Traum notiert. Es ist immer
ein Experiment, ein Spiel. Wenn ich eine Röhre oder so eine Blende habe,
dann arbeite ich damit. In diesem Spiel entsteht etwas Neues. Das ist dieser Moment,
der unerwartet kommt, der Sprung, die Innovation. Wenn man die Richtung gefunden
hat, geht man weiter und es wird spannend und plötzlich habe ich ein neues
Projekt. Darmstädter
Tage der Fotografie: Überblick - Konstruktion der Wahrheit
Vortrag
zum
Symposium am 21.04.2007, Hochschule
Darmstadt, Fachbereich Gestaltung Kurt
Buchwald | |
| "Vom
Abtun der Bilder" Die Aktion "Fotografieren verboten!"
(1988 - 2005)
Ein Jahr vor der Wende tauchen in Ostdeutschland selbst gebastelte
Schilder auf: "Fotografieren verboten!". Der an Restriktionen gewöhnte
Bürger nimmt das als gegeben hin, und die Obrigkeit zögert, nicht die
Vorschrift durchzusetzen. An einem öffentlichen Ort wie dem Alexanderplatz
in Berlin eine oft gemachte Erfahrung. Am 30. Mai 1989 trifft es kein westliches
Kamerateam sondern Passanten, die die Weltzeituhr fotografieren wollen. Um das
Bauwerk ist eine Schnur gespannt, an der Piktogramme mit einer durchgestrichenen
Kamera hängen. Auch Kurt Buchwald, ein Künstler aus Ostberlin, der kurz
davor diese Installation aufgebaut hat, wird von einem Volkspolizisten aufgefordert
seine Kamera wegzupacken: "Hier ist das Fotografieren verboten!". Als
der Schwindel auffliegt, wird er zusammen mit seinen Mitstreitern auf die Polizeiwache
gebracht. Diese Aktion ist der Auftakt zu "30 Tage permanente Kunstkonferenz",
organisiert von der Galerie "Weißer Elefant". Fortan untersagen
die Behörden Aktivitäten im öffentlichen Raum. Parallel zu den
Aktivitäten in Ostberlin hat Wolfgang Krause in der Dresdener Neustadt an
heruntergekommenen Abrisshäusern die gleichen Schilder "Fotografieren
verboten!" angebracht. "Unerhört, jetzt darf man diese Häuser
nicht mehr fotografieren!" beschweren sich die Anwohner.
Es
ist eine seltsame Situation kurz vor dem Ende der Arbeiter- und Bauernmacht. Der
Umbruch liegt in der Luft. Eine Ausstellung mit Künstlerfreunden im Juni
1989 hat Buchwald "Da capo al fine" (musikalische Spielanweisung: noch
mal wiederholen bis zum Schluß) genannt. Im Dezember des gleichen Jahres
kann er seine Verbotsschilder problemlos auf der Westseite der Mauer am Potsdamer
Platz aufstellen. Wer hätte das vor einen halben Jahr gedacht? In einem schwarzen
Overall, vermummt mit einer quittegrünen Gesichtsmaske, stellt er sich zusammen
mit einem Künstlerkollegen den Mauerspechten entgegen, die nicht nur den
Grenzwall fotografieren, sondern gleich stückchenweise abtragen und als Andenken
mit nach Hause nehmen. Buchwald hatte analoge Prozesse bereits 1984 antizipiert,
als er in einer konzeptionellen Arbeit die Aktion "Finden - Fotografieren
- Inbesitznehmen - Wegtragen" initiierte. Zwar fotografierte und sammelte
er nur Fundstücke im märkischen Sand, doch das Prinzip ist das Gleiche.
Der fotografische Akt ist ein Eingriff in die Realität, ob das nun inszeniert
wird oder bloß im Kopf geschieht. Buchwald nennt sich jetzt Störbildner,
ein Fotograf der mit der Kamera den Zusammenhang der vorgefunden Welt unterbricht.
Aus
dieser Wunde tropft das Blut der Selbstgefälligkeit des Menschen, der sich
über Gott erhebt. Dieser pathetischer Satz könnte dem Traktat von Andreas
Bodenstein, genannt Karlstadt, entstammen "Von Abtuhung der Bylder"
(1522) in der christlichen Stadt Wittenberg. Er wollte das Gebot Moses: "Du
sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben
im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter
der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!" wörtlich nehmen
und alle Heiligenbilder und Figuren aus der Kirche entfernen. Der 1953 in Wittenberg
geborene Buchwald hat den reformatorischen Bildersturm nicht erlebt. Nicht auszudenken,
was geschehen wäre, hätte Luther den Eiferer nicht aufgehalten. Womöglich
hätten wir heute in Deutschland tatsächlich ein Bildverbot. Es war Anderen
bestimmt, es umzusetzen. 1988
startete Buchwald seine Aktion "Fotografieren verboten!" auf dem Roten
Platz in Moskau begonnen und streut sie nach dem Fall der Mauer weltweit: in Arles,
in Budapest, in London, Amsterdam, Wien, Brasilia, Bangkok, New York und Paris,
am Arce de Triumphe, am Polarkreis, in der Atacamawüste usw. 1998 zum 10-jährigen
Jubiläum berichtet der Kulturweltspiegel über seine Aktion in Rom. Gleichzeitig
feiert der Aktionskünstler und Bildstörer Buchwald das 5-jährige
Bestehen des "Amtes für Wahrnehmungsstörung" in der Galerie
am Prater in Berlin. Neben dem Fotoverbot beschäftigt er sich nun mit pseudowissenschaftlichen
Projekten, wie der Messung der Leere, und dem Markt des Nichts. Er gibt amtliche
Bekanntmachungen und Flugschriften heraus. Die komischen Begebenheiten, die er
inszeniert, wie "OM-Beobachtungsstation" und "Deutsche Wacht"
haben natürlich einen ernsten Hintergrund. 2005 beendet er das Langzeitprojekt
"Fotografieren verboten!" Während dieser Zeit, in der er das Fotografieren
öffentlich untersagte, hat er natürlich weiter fotografiert. Ein Verbot
reizt zum Widerspruch. Buchwald versteht sich nicht als "Protestant",
als Verfechter der reinen Lehre und Kämpfer gegen die Bilderflut. Schon eher
als Forscher und Störenfried. Ihn interessieren verborgene Machtstrukturen,
Gegenentwürfe und absurde Situationen. Buchwald beobachtet die Reaktionen,
wie bei der Aktion "Fotografieren verboten!". Sobald das Piktogramm
sichtbar wird, sind die Leute verunsichert, packen die Kamera weg oder fangen
gerade deswegen an zu fotografieren. Aber der Erfinder der Aktion unterliegt selbst
diesem Zwang: fotografieren - nicht fotografieren - fotografieren - nicht
.
usw. In der 1. Dekade nach der Wende werden Buchwalds Bilder zunehmend von
einer Leere bestimmt. Es ist der blinde Fleck, der sich zum schwarzen Nichts ausbreitet.
Schwarze Scheiben vor das Objektiv des Fotoapparates montiert, verdecken Teile
des Bildes im Augenblick des Entstehens - frei nach Wilhelm Flusser: "Gegen
die Kamera fotografieren!". Vom Nichtsehen und Nichthören erzählt
seine Aktion "black bag over the head", Dresden 2004, eine Form der
"Andenkenfotografie", die die Amerikaner in Bagdad praktizierten.
Derweilen
beschäftigt sich Buchwald mit der Entstehung einer neuen Spezies Mensch,
dessen Gesicht zu einer Kamera mutiert. Der so genannte Röhrenmensch, in
der Abkürzung "RM", hat als Kopf ein Rohr, durch das er die Welt
beobachtet. Dieser vollmediale Mensch mit Tunnelblick sitzt am Eingang einer Höhle
und schaut, was vorüber kommt. 2005 gründet er die Wahlalternative Röhre
und Mensch, eine Partei mit dem Namen W.A.R.U.M. Von Menschen in einem finsteren
Loch, die die Schatten im Lichte eines Feuers als Welt zu deuten wussten, erzählte
schon der griechische Philosoph Platon. Schade, dass sie nicht fotografieren konnten!
Vielleicht wäre Buchwald vorbeigekommen und hätte ein Schild "Fotografieren
verboten!" aufgestellt. K.
Bringewicht, Berlin, den 12.12.09 | |
| Konzeptionelle
Fotografie Ich
benutze den Begriff "Konzeptionelle Fotografie", da ich keinen besseren
zur Verfügung habe. Meiner Meinung nach gebraucht diese Fotografie fotografische
Bilder anders als hinlänglich bekannt. Es stehen Zusammenhänge dahinter,
ohne deren Kenntnis das Ergebnis unverständlich bleibt. Das ist der konzeptionelle
Ansatz. Er kann eine Haltung, eine willkürliche Festlegung, ein detaillierter
Plan sein. Er äußert sich in einer Untersuchung, einem Spiel, einer
Inszenierung oder einer Aktion. Die Bilder dieser Fotografen können ohne
ihren Ansatz weder verstanden noch beurteilt werden. Die Bewertung erfolgt nach
künstlerischen Gesichtspunkten. Der Kanon fotografischer Lichtbildnerei spielt
keine Rolle. Die konzeptionellen Fotografen suchen nach Selbstentdeckung, nach
Ausdruck über die eigene Person, nach Vereinigung mit der abzubildenden Realität
oder benutzen das Medium zur Beweisführung ihrer Theorien. Das Anliegen traditioneller
Fotografen ist ein anderes. Ihre Bemühungen haben das Ziel, etwas außerhalb
der eigenen Person in möglichst hochwertiger Form zu verbildlichen. Das Gegenüber
ist von Interesse, nicht die Darstellung und Befragung des eigenen Ichs, selbst
wenn, gelingt es außer im Selbstporträt nie unmittelbar. Um daraus
einen neuen Einstieg zu entwickeln, setzt das Selbstverständnis dieser Fotografen
eine Grenze.
Nicht
zu vernachlässigen ist der alltägliche Umgang mit Fotografie. Hier zeigen
sich Widersprüche, ausgelöst durch massenhaftes Produzieren und Konsumieren
von Bildern. Dazu bemerkt Rolf H. Krauss: "Die Realität wird ersetzt
durch das Bild der Realität
,Träger dieser Entfremdung ist im
Grunde jedoch die Fotografie, ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit abzubilden,
" Die konzeptionelle Fotografie stellt sich diesem Problem, man
könnte fast sagen, sie erwächst daraus, was die Haltung, herkömmliche
Bildlösungen zu verwerfen und die fotografische Bildherstellung zu hinterfragen
belegt. Eine der Ursachen, der Geburtsfehler liegt im fotografischen Verfahren.
Mit Hilfe einer technischen Apparatur wird ein Bild der Realität erstellt,
ohne daß der Künstler bei dessen stofflicher Erzeugung direkt beteiligt
ist (er benutzt er know how, mit dem jeder Unbedarfte ein Bild erstellen kann). Das
ist ein Widerspruch! Er bot oft Anlaß zu Kritik seitens anderer Künstler
oder wurde von Fotografen beflissen übergangen. Hier wird Bekenntnis verlangt!
Der Gegenstand wird nicht gemalt, gezeichnet oder sonstwie dargestellt, sondern
in Form einer Fotografie selbst gezeigt, als handele es sich um ein Spiegelbild
oder Abdruck. Das ist eine Provokation gegenüber der etablierten Kunst. Mit
der Benutzung der Fotografie durch die Aktionisten wird die Trennung zwischen
Künstler und Gegenstand überwunden. Der Aktionist greift in die abzubildende
Realität ein, verändert sie, stellt sich selbst in den (vorher bestimmten)
Bildraum. In dieser Vereinigung mit dem Gegenstand wird der Künstler wieder
zu einem Teil des Bildes, der durch die maschinelle Bildherstellung verloren geht. Befrage
ich einen konzeptionellen Fotografen, ob er sich vorstellen könnte, auch
ohne Kamera zu arbeiten, bejaht er im Gegensatz zum traditionellen Fotografen.
Das ist der springende Punkt. Dem Fotografen ist die Fotografie ein Heiligtum.
Dem Konzeptionellen nicht! Diese Haltung befähigt ihn in Grenzbereiche vorzustoßen.
Er betrachtet die Fotografie als Mittel.
Von
Interesse ist, wann geht ein Bereich in den anderen über? Es handelt
sich um ein Foto im traditionellen Sinn, wenn es sich vom konzeptionellen Ansatz
soweit entfernt, daß es ohne ihn eine eigene Existenz begründet. Seine
Wirkung bezieht es jetzt ausschließlich aus dem bekannten Kanon fotografischer
Lichtbildnerei, wie Motiv - Komposition - hochwertige technische Abbildung. Die
konzeptionelle Fotografie ignoriert den fotografischen Kanon, führt eine
Bedingung gegen Null oder betrachtet ihn als Automatismus. Im Mittelpunkt stehen
künstlerische Kriterien, die Botschaft, das Konzept und nicht lohnenswerte
Motive, Kamera- und filmtechnische Finessen.
Ich
unterschiede drei Gruppen:
1.
REINER AKTIONIST 2. FOTOGRAF UND AKTIONIST 3. VISUELLER THEORETIKER Ausführlicher
Text: Katalog Fotografie in Aktion, expose Verlag, Berlin 1991,
Seite 74 Kurt Buchwald,
Berlin 1987
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