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Grenzen des Sehens
oder - der Beobachter blickt in die Einsamkeit des Raumes und fragt,
was ist das was ich da sehe? Die Verwirrung ist groß. .

Schein oder Sein?

DER LICHT-EIN-FALL


Wir sehen nur einen verschwindend kleinen Teil der Welt in einem eng begrenzten Spektralbereich des Lichtes. Unsere Wahrnehmung ist beschränkt, unser Auge ist ein Punkt im Universum. Der Weltgeist, sofern es ihn überhaupt gibt, hat den Überblick. Er sieht alles gleichzeitig, so verschmelzen Raum und Zeit. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob dies dann noch ein Sehen ist?
Bei den alten Griechen ist der wahre Seher blind. Er sieht was wir nicht sehen. Hier kehrt sich unsere Vorstellung von Welt und Sichtbarkeit um. Doch was ist das Unsichtbare, die wahre Welt, die wir nicht erkennen? Ja, wie funktioniert das Sehen überhaupt?
Unser Sehen ist vergleichbar mit dem Scannen. Die Welt die wir erkennen ist reflektiertes Licht. Wie der Gegenstand wirklich aussieht, bleibt ein Geheimnis, es sei denn, wir können die Kategorie der wahren Wahrnehmung bestimmen. Nichts ist normal, nichts ist selbstverständlich. Die Welt, die wir sehen, ist Licht in einen eng begrenzten Bereich. Es entsteht ein Bild, eine Konstruktion, in der wir uns gut zurechtfinden. Je nachdem wie das Licht auf den Gegenstand fällt, nehmen wir ihn wahr. Jedoch kann sich das laufend ändern, je nachdem wie das Licht einfällt. Der Blinde hat dieses Problem nicht, denn er benötigt kein Licht, um den Gegenstand wahrzunehmen. Der Gegenstand bleibt wie er ist, mit seinem Tastsinn nähert er sich dem Objekt unmittelbar. Die Begegnung ist direkt, seine Vorstellung authentisch, nicht übertragbar, eine Kopie nicht möglich. Es entsteht eine Intimität mit dem Objekt, ein individuelles Gefühl.
Die Ambivalenz des Gesehenen hat einen weiteren Aspekt. Wir, die wir Licht zum wahrnehmen benötigen, spielen mit den Sinneseindrücken des Sehens. Der normale Zustand wird durch ungewöhnliche Sichten aufgemischt. Dabei ist nicht klar, ist das noch der uns bekannte Gegenstand? So haben wir ihn noch nie gesehen, wir sind überrascht, entzückt oder enttäuscht. Wir glauben neue Wahrheiten wahrzunehmen. Aber es ist nur der LICHT - EIN - FALL, der Gegenstand bleibt wie er ist.
Auch der Ausschnitt bestimmt das Gesehene. Dazu experimentiere ich seit 2002 mit einem Rohr "Im Kreis der Wahrnehmung". Genau wie der Blinde wähle ich nicht eine Distanz beim Wahrnehmen, sondern suche die Nähe. Das Rohr wird auf den Gegenstand aufgesetzt. Ist er eben, kann wenig Licht über die Ränder eindringen, ich erkenne nichts. Mein Eindruck wird vom Kippwinkel des Rohrs zum Gegenstand, der daraus resultierenden Beleuchtung und seiner Oberflächenstruktur bestimmt. Dabei werden die Grenzen der Wahrnehmung sichtbar, die durch das Licht (Überstrahlung) oder die Verdeckung (kein Licht) entstehen.
2012 wurde ich von Mitgliedern der ehemaligen Künstlergruppe Clara Mosch, die von 1977-82 in Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt) bestand, zu einem Plain air nach Zella-Mehlis eingeladen. Die Gruppe suchte in der DDR mit Happenings, Landart-Aktionen und Performances nach einen neue Kunstbegriff. Ich fühlte mich ihnen verbunden, da ich damals meinen Weg in die Kunstszene fand. In der thüringischen Kleinstadt waren etwa 20 Künstler eingeladen und ich beschloss diese Künstler nach meiner Konzeption "Im Kreis der Wahrnehmung" zu portraitieren. Allerdings benutze kein Rohr sondern baue dafür einen Kasten, im Grunde ein viereckiges Rohr, das ich an die Kamera befestige. Der Effekt ist der gleiche, nur das jetzt ein Rahmen, der zu einer Öffnung hinführt, sichtbar wird. Die Personen schauen in den Kasten oder vollführen mit ihrer Hand verschiedene Gesten.
Ganz anders wirken die Aufnahmen der Oberflächen. Erst nach einer 2. Durchsicht habe ich mich dafür interessiert. Hier gestaltet auch der Schatten des Kastens, den ich an der Kamera montiert habe, das Bild. Licht drängt von den Rändern ein, in der Mitte entsteht Dunkelheit. Kasten und Rohr funktionieren ähnlich. Durch ihr Aufsetzten auf den Gegenstand habe ich den Eindruck, als dringen sie, bzw. die Kamera in den Gegenstand ein. Ich nenne diese Art zu Fotografieren "Archäologie der Fläche".
Abschließend stellt sich die Frage nach Raum und Zeit, auch das sind keine Selbstverständlichkeiten. Über eine Vielzahl von Ausschnitten konstruiert der Blinde den Raum. Welche Erfahrung macht er mit der Zeit? Die Sehenden sehen den Raum bereits mit einem Blick, sie müssen ihn nicht zeitraubend mit dem Tastsinn erobern. Aber auch wir fügen Bilder zusammen und erhalten dadurch einen Überblick. Zusammenfassend kann ich sagen: Wir sehen und verharren, der Blinde ertastet und bewegt sich von Gefühlspunkt zu Gefühlspunkt. Wir bleiben auf Distanz, der Blinde verbindet sich mit der Welt.
Ganz typisch für das Blindsein ist die Unmittelbarkeit. Der Blinde kann nicht sehen was auf ihn zukommt, reagiert erst, wenn er darauf stößt. Das scheint kein Nachteil sein, denn Blinden wird eine besondere Intuition nachgesagt. Im Altertum galten Blinde als besondere Seher, sie wurden als Orakel befragt. Blinde haben einen anderen Zugang zur Welt. Für sie existiert kein LICHT - EIN - FALL. Damit will ich keine Negativbewertung des Sehens herbei reden. Genießen wir weiterhin die vielen ungewöhnlichen Sichten. Seien wir dabei überrascht, entzückt oder auch enttäuscht. Ist es nicht schön, immer wieder neue Wahrheiten wahrzunehmen, obwohl es sie doch gar nicht gibt?

Kurt Buchwald, Eröffnug der Ausstellung, Berlin, den 06.09.2017


 
   
 Die Welt als Scheibe & Rohr

Als ich 1988 mit einem Schild "Fotografieren verboten!" auf dem Roten Platz in
Moskau stand, war das der Beginn einer Aktion, die 13 Jahre dauern sollte.
Während dieser Zeit, in der ich das Fotografieren öffentlich untersagte, habe ich natürlich weiter fotografiert. Ein Verbot reizt zum Widerspruch. Das sah die Volkspolizei 1989 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin anders, ich wurde festgenommen.

Parallel entstand eine Arbeit, die auch zu Widersprüchen führte, das Ausblenden.
Die Erzeugung von Bereichen in denen nichts zu sehen ist, wirkt wie ein Bildverbot. Die Kritik bezeichnete diese Fotos als Störbilder. Ich empfinde sie harmonisch.
Sie stellen die Einheit zwischen der Sicht- und Unsichtbarkeit her.

Um die Legitimität meiner Arbeit zu unterstreichen, habe ich 1993 das Amt für Wahrnehmungsstörung gegründet. Es gibt Bekanntmachungen, Anordnungen und Verbote heraus oder beschäftigt sich mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen. Die komischen Begebenheiten, die ich inszeniere, haben natürlich auch einen ernsten Hintergrund.

Ich begann zu experimentieren, und zerlege hypothetisch den Apparat. Eine Scheibe wurde als Blende vor dem Objektiv befestigt, so dass bei jedem Bild der Apparat einen Teil von sich d.h. die Blende, bzw. immer das Gleiche plus etwas Anderes aufnimmt. Um die Relativität des Bildes zu demonstrieren, ging ich zur Aufnahme von Streifenmuster über. Es entstanden Interferenzbilder in der Kamera für die es keine Gegenständlichkeit gibt.

Aus den Blenden begann ich dann mannshohe Objekte aus Stahl zu bauen. Ich habe sie Wahrnehmungsinstrumente genannt und zwischen die Ausstellungsbilder gestellt.
Als nächstes wurde das Kameragehäuse als begehbare "OM"-Beobachtungsstation eingerichtet und das Objektiv als durchschaubare Hülse verwendet. Mit diesen Röhren konnte ich den Kreis der Wahrnehmung durchbrechen und in den Mikro- bzw. Makrokosmos eindringen. Ich sah neue Welten, Körper und Oberflächen.

Schließlich gelang es mir, Kamera und Benutzer vollständig zusammenzuführen. Ich entwarf eine Kameraröhre, die man aufsetzt, bzw. den Kopf hineinsteckt.
Der Röhrenmensch (RM) war geboren. Seitdem verbreitet er sich über die ganzen Welt und gründetet neue Staaten und die Röhrenpartei, "Wahl-Alternative Röhre & Mensch", abgekürzt: W.A.R.U.M.

Text zur Ausstellung im Museum Junge Kunst, Frankfurt/Oder vom 03.06. bis 05.08.2007

Kurt Buchwald

 
 

Vom Bildverbot zum Röhrenmenschen


Eine wichtige Rolle in meiner Arbeit spielt das Untersuchen, Stören, Agieren und Konstruieren - das Hinterfragen des Mediums Fotografie. Begonnen hat meine künstlerische Tätigkeit mit der Aktion. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich gefragt habe, was mache ich beim Fotografieren? Eine Antwort war die Handlung: Finden - Fotografieren - In Besitznehmen - Wegtragen, Berlin 1984. Ich fotografiere einen Gegenstand, hebe ihn auf und siehe da: er hat am Ort, wo er lag, im Sand ein Bild hinterlassen. Diese Doppelung zeigt, dass das Herausreißen des Gegenstandes aus dem Zusammenhang, das Aufheben und Loslösen, ein zentraler Akt ist. Das Bild im Sand bzw. der Lichtabdruck in der Kamera scheint die Abbildfunktion und die Objektivität der Fotografie zu bestätigen.

Ein anderer Punkt meiner Arbeit ist das Sender-Empfänger-Prinzip, die Übertragung von Information, das Wechselspiel von Träger und Getragenem. In Aktionen wie Wirklichkeit-Transport-Abbildung, das Verbrennen eines Fernsehers 1980, habe ich versucht, das darzustellen. Es ist mir wichtig, im Bildraum anwesend zu sein. Das vor und hinter der Kamera, das Hineinspringen ins Bild habe ich häufig thematisiert. Das Körperliche des Fotografierens wird übersehen, da es immer nur um die Bilder geht.
Ein Ausgangspunkt für zahlreiche andere Arbeiten wurde die Serie Störbilder-Stehbilder, Berlin 1984. Ich markiere einen Ort mit dem eigenen Torso, dessen schwarze Silhouette das Bild auslöscht. Eine absurde Vorstellung für einen Fotografen, dem es um das Zeigen und Enthüllen geht. Jede Aufnahme ist eine Störung des Ortes durch den Bildermacher. Das kann er klein halten oder übertreiben. Eine andere Seite ist, dass ich mit dem Eingriff eine Verbindung schaffe, mit dem Gegenstand und dem Ort zu verschmelzen. Da im Ergebnis die Sichtbarkeit gegen Null läuft, wäre ich bei Malewitsch angekommen. Aus dieser Bildidee entstand die Serie: Ein Tag in Ostberlin, 1987, die die Berliner Mauer thematisiert. Kein normaler Mensch konnte von Osten aus an der Grenze die Mauer fotografieren. Ich habe dann mit der Verdeckung eine Form gefunden, die das sinnbildlich rüberbringt, ohne dass ich die Mauer zeige - der schwarze Torso, der die Aussicht verstellt. In diesem Fall bin ich es nicht selbst, es ist ein Double, das sich in der Bildserie vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz in die Aufnahme drängt.


Das Bildtableau leitet über in eine andere Arbeit, die Unscharfen Porträts Berlin 1989. Ich stelle die Schärfe auf den Hintergrund und fotografiere weiter, mache ein Porträt, als wäre nichts geschehen. Die Methode, bewusst einen Aspekt zu negieren, führt zu ungewohnten Ergebnissen. Ich wurde als "Störbildner" bezeichnet. Dann habe ich den Schritt vollzogen, mit der Aktion Fotografieren verboten! das Bildermachen zu unterbrechen. Da war es dann logisch, sich Fotograf oder Nichtfotograf zu nennen, je nachdem, was man im Moment für richtig hält. Ich liebe die Negation, sie ist ein Mittel, um festgefahrene Strukturen auszuhebeln. Natürlich ist es schwierig als Fotograf, das Nichtfotografieren darzustellen. Ich habe es mit einer Aktion gemacht. Die wurde dann schnell zur Interaktion, die sich ergibt, wenn ich anderen Leuten ein Verbotszeichen hinstelle. Ich komme aus dem Osten, dort durfte man Vieles nicht. Bildmonopol und Staatsmacht gingen Hand in Hand. Die Administration wachte über die Sichtbarkeit und die Auslegung der Wahrheit. Was nicht genehmigt war, bleibt unsichtbar, sozusagen der größere Teil des Eisberges. Um hier etwas auszurichten, musste ich die Macht mit ihren eigenen Mitteln schlagen. Das habe ich 1988 das erste Mal in Moskau auf dem roten Platz gemacht und dann 1989 an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Ostberlin. Als ein Volkspolizist das Fotoverbotsschild sah, forderte er Umstehende auf, ihre Kamera wegzupacken. Begründung: Sehen Sie nicht, hier ist Fotografieren verboten! Als ich dann 1993 die erste kamerafreie Zone in Bamberg einrichtete, hat das niemand interessiert. Die Ungläubigen wollten nicht verstehen, dass ein Virus die Fotomania auslöst. Das Fotoverbot ging dann auf Reisen, von der Wüste Atacama, über Antalya in der Türkei, Bangkok, Brasilia, bis zur Osterinsel. Insgesamt 13 Jahre sollte es dauern, bis es mir zu viel wurde bei jeder Reise das Schild mitzunehmen. Da hatte ich die Verbotspraxis bereits in das Amt für Wahrnehmungsstörungen integriert und meinen Handlungsspielraum ausgedehnt. Es wurden pseudowissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, Bekanntmachungen und Warnungen, herausgeben, die mit der Realität nichts zu tun haben, aber plausibel klingen. Auf öffentlichen Straßen und Plätzen wird die Leere mit Hilfe der Richterskala gemessen. OM-Beobachtungsstationen wurden aufgestellt. Es gab den IM. Der OM, das ist der Offizielle Multiplikator, eine Art Schilderhäuschen. Man kann hineingehen und wird beim Beobachten nicht gesehen. Dann kommen die Röhrenmenschen ins Spiel. Das sind Leute, die zu viel fernsehen und denen die Bildröhre am Kopf angewachsen ist. Sie haben einen Tunnelblick.
Der Lichtsack, oder Black bag over the head, ist eine Form der Andenkenfotografie, die unsere amerikanischen Freunde in Irak erfunden haben. Schwarzhören und Schwarzsehen können Sie jetzt ganz legal, einfach den black bag überziehen und es kann beginnen. Ich habe das selbst probiert, es ist eine bewusstseinserweiternde Erfahrung, eine Stunde den schwarzen Sack über dem Kopf zu haben.

Womit wir bei den Verdeckungsbildern Bilder + Blenden 1990-2000 wären. In dieser Zeit habe ich eine schwarze Pappscheibe vor das Objektiv der Kamera montiert, die das Bild auslöscht. Allerdings habe ich einen kleinen Sichtrand gelassen, denn ich wollte nicht völlig blind agieren. Das war spannender und man konnte sehen, wo die Aufnahme gemacht wurde. Die Form dieser Blende variiert nach Einsatz und möglicher Aufgabenstellung. So habe ich Spalten und Öffnungen eingearbeitet oder auch farbige Blenden verwendet. Hier wurde mir klar, dass die sichtbare Wahrheit nur eine scheinbare ist, wenn ich das nicht hinterfrage. Eine Öffnung wird bei den Blenden je nach Kameraeinstellung unterschiedlich groß wiedergegeben. Dahinter steckt das Phänomen der Lichtbeugung und die Wellennatur des Lichtes. Ich nutze es bei der Serie Interferenzen zur Erzeugung von Bildern, für die es keine Realität vor der Kamera gibt, die im optischen System entstehen. Dazu habe ich Streifen fotografiert und davor eine schwarze Dreieckblende positioniert. Im Kamerabild werden die Streifen wie in einem Kraftfeld abgelenkt. In der Physik gibt es den Versuch Lichtbeugung am Spalt, der zeigt, wie das Licht um den Gegenstand wandert. Dadurch öffnet oder schließt sich der Spalt bzw. von einem Gegenstand werden die Streifen bzw. die Lichtwellen abgelenkt.

Zurück zur alltäglichen Wahrnehmung: Das einfachste, im Bild anwesend zu sein, ist die Hand hinein zu strecken. Sie kann durch ein Instrument verlängert oder ersetzt werden, wie die Blende oder das Rohr, das ich bei meiner Bildserie Im Kreis der Wahrnehmung verwende. Die Bilder, die dabei entstehen, können im ersten Moment nicht gleich entschlüsselt werden. Wahrnehmungsinstrument und die Aktion des Fotografen schaffen beim Aufsetzen der Röhre auf den Gegenstand eine neue Bildstruktur.
Die Voraussetzung war ein Grundelement der Kamera als separates Wahrnehmungsinstrument einzusetzen. Dazu muss ich den Apparat als Skulptur begreifen und das Fotografieren unterbrechen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wurden dann natürlich wieder fotografiert, wie eh ja alles in einem Foto endet. Das Kameragehäuse wurde als begehbare Beobachtungsstation eingerichtet, die Blende und schließlich das entkernte Objektiv ohne Linsen als Beobachtungsrohr verwendet. 1993 habe ich das erste Observatorium eingerichtet. Der Ansatzpunkt war, Realität direkt zu zeigen und nicht durch Bilder zu ersetzen. Wenn ich durch eine Röhre die Welt betrachte, wirkt das Gesehene immer noch medial durch die Eingrenzung. Aus dieser Installation ist dann der Röhrenmensch entstanden, sozusagen ein verunglückter Rezipient, der den Kopf nicht aus der Röhre bekommt. Seitdem muss er als RM (abgekürzt für Röhrenmensch) sein Dasein fristen. Es wird mit der Kamera dokumentiert, wie er in den Urlaub fährt, sich zuhause eine Suppe kocht, im Garten arbeitet, im Winter auf dem Schlitten fährt usw. Es geht bis ins Fantastische, wenn er sich als Röhrenflügler in die Luft erhebt. Da die Röhrenmenschen sich zahlreich vermehren, gründen sie eine eigene Partei, die Wahlalternative Röhre und Mensch abgekürzt: W.A.R.U.M. Auf den Wahlplakaten ist zu lesen Rudi Röhre wählen! oder Röhren aller Länder vereinigt euch. Das ist dann bei einer Demo vor dem Brandenburger Tor geglückt, sie haben ein zehn Meter langes Rohr hinbekommen. Viele Röhrenmenschen wählen andere Parteien, weil sie nicht wissen, dass sie Röhrenmenschen sind. Zur Bundestagswahl 2005 hatten die Röhrenmenschen in einem Berliner Hinterhof im Wedding einen Hofstaat und ein Schattenkabinett mit arabischer Schlosskulisse eingerichtet. In einen Video können sie jetzt Rudi Röhre sehen, wie er bei einer Wettfahrt mit seinem Wahlmobil eine fahrbare Blende vor sich her schiebt. Er wird gewinnen!

Zum Abschluss eine Frage aus dem Publikum:
"Gab es irgendwelche unerwarteten Erkenntnisse? Sie planen das ja alles konzeptionell eigentlich ganz gut durch und bauen Apparaturen."
Das Neue oder das Innovative heraus zu kitzeln, das ist nicht immer so einfach und es kommt ja auch nicht, indem man sich schlafen legt und am nächsten Tag eine Idee aus einem Traum notiert. Es ist immer ein Experiment, ein Spiel. Wenn ich eine Röhre oder so eine Blende habe, dann arbeite ich damit. In diesem Spiel entsteht etwas Neues. Das ist dieser Moment, der unerwartet kommt, der Sprung, die Innovation. Wenn man die Richtung gefunden hat, geht man weiter und es wird spannend und plötzlich habe ich ein neues Projekt.


Darmstädter Tage der Fotografie: Überblick - Konstruktion der Wahrheit

Vortrag zum Symposium am 21.04.2007, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gestaltung

Kurt Buchwald

 

 
 "Vom Abtun der Bilder"
Die Aktion "Fotografieren verboten!" (1988 - 2005)


Ein Jahr vor der Wende tauchen in Ostdeutschland selbst gebastelte Schilder auf: "Fotografieren verboten!". Der an Restriktionen gewöhnte Bürger nimmt das als gegeben hin, und die Obrigkeit zögert, nicht die Vorschrift durchzusetzen. An einem öffentlichen Ort wie dem Alexanderplatz in Berlin eine oft gemachte Erfahrung. Am 30. Mai 1989 trifft es kein westliches Kamerateam sondern Passanten, die die Weltzeituhr fotografieren wollen. Um das Bauwerk ist eine Schnur gespannt, an der Piktogramme mit einer durchgestrichenen Kamera hängen. Auch Kurt Buchwald, ein Künstler aus Ostberlin, der kurz davor diese Installation aufgebaut hat, wird von einem Volkspolizisten aufgefordert seine Kamera wegzupacken: "Hier ist das Fotografieren verboten!". Als der Schwindel auffliegt, wird er zusammen mit seinen Mitstreitern auf die Polizeiwache gebracht. Diese Aktion ist der Auftakt zu "30 Tage permanente Kunstkonferenz", organisiert von der Galerie "Weißer Elefant". Fortan untersagen die Behörden Aktivitäten im öffentlichen Raum. Parallel zu den Aktivitäten in Ostberlin hat Wolfgang Krause in der Dresdener Neustadt an heruntergekommenen Abrisshäusern die gleichen Schilder "Fotografieren verboten!" angebracht. "Unerhört, jetzt darf man diese Häuser nicht mehr fotografieren!" beschweren sich die Anwohner.

Es ist eine seltsame Situation kurz vor dem Ende der Arbeiter- und Bauernmacht. Der Umbruch liegt in der Luft. Eine Ausstellung mit Künstlerfreunden im Juni 1989 hat Buchwald "Da capo al fine" (musikalische Spielanweisung: noch mal wiederholen bis zum Schluß) genannt. Im Dezember des gleichen Jahres kann er seine Verbotsschilder problemlos auf der Westseite der Mauer am Potsdamer Platz aufstellen. Wer hätte das vor einen halben Jahr gedacht? In einem schwarzen Overall, vermummt mit einer quittegrünen Gesichtsmaske, stellt er sich zusammen mit einem Künstlerkollegen den Mauerspechten entgegen, die nicht nur den Grenzwall fotografieren, sondern gleich stückchenweise abtragen und als Andenken mit nach Hause nehmen.
Buchwald hatte analoge Prozesse bereits 1984 antizipiert, als er in einer konzeptionellen Arbeit die Aktion "Finden - Fotografieren - Inbesitznehmen - Wegtragen" initiierte. Zwar fotografierte und sammelte er nur Fundstücke im märkischen Sand, doch das Prinzip ist das Gleiche. Der fotografische Akt ist ein Eingriff in die Realität, ob das nun inszeniert wird oder bloß im Kopf geschieht. Buchwald nennt sich jetzt Störbildner, ein Fotograf der mit der Kamera den Zusammenhang der vorgefunden Welt unterbricht.

Aus dieser Wunde tropft das Blut der Selbstgefälligkeit des Menschen, der sich über Gott erhebt. Dieser pathetischer Satz könnte dem Traktat von Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, entstammen "Von Abtuhung der Bylder" (1522) in der christlichen Stadt Wittenberg. Er wollte das Gebot Moses: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!" wörtlich nehmen und alle Heiligenbilder und Figuren aus der Kirche entfernen. Der 1953 in Wittenberg geborene Buchwald hat den reformatorischen Bildersturm nicht erlebt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte Luther den Eiferer nicht aufgehalten. Womöglich hätten wir heute in Deutschland tatsächlich ein Bildverbot. Es war Anderen bestimmt, es umzusetzen.

1988 startete Buchwald seine Aktion "Fotografieren verboten!" auf dem Roten Platz in Moskau begonnen und streut sie nach dem Fall der Mauer weltweit: in Arles, in Budapest, in London, Amsterdam, Wien, Brasilia, Bangkok, New York und Paris, am Arce de Triumphe, am Polarkreis, in der Atacamawüste usw. 1998 zum 10-jährigen Jubiläum berichtet der Kulturweltspiegel über seine Aktion in Rom. Gleichzeitig feiert der Aktionskünstler und Bildstörer Buchwald das 5-jährige Bestehen des "Amtes für Wahrnehmungsstörung" in der Galerie am Prater in Berlin. Neben dem Fotoverbot beschäftigt er sich nun mit pseudowissenschaftlichen Projekten, wie der Messung der Leere, und dem Markt des Nichts. Er gibt amtliche Bekanntmachungen und Flugschriften heraus. Die komischen Begebenheiten, die er inszeniert, wie "OM-Beobachtungsstation" und "Deutsche Wacht" haben natürlich einen ernsten Hintergrund. 2005 beendet er das Langzeitprojekt "Fotografieren verboten!" Während dieser Zeit, in der er das Fotografieren öffentlich untersagte, hat er natürlich weiter fotografiert. Ein Verbot reizt zum Widerspruch.
Buchwald versteht sich nicht als "Protestant", als Verfechter der reinen Lehre und Kämpfer gegen die Bilderflut. Schon eher als Forscher und Störenfried. Ihn interessieren verborgene Machtstrukturen, Gegenentwürfe und absurde Situationen. Buchwald beobachtet die Reaktionen, wie bei der Aktion "Fotografieren verboten!". Sobald das Piktogramm sichtbar wird, sind die Leute verunsichert, packen die Kamera weg oder fangen gerade deswegen an zu fotografieren. Aber der Erfinder der Aktion unterliegt selbst diesem Zwang: fotografieren - nicht fotografieren - fotografieren - nicht…. usw.
In der 1. Dekade nach der Wende werden Buchwalds Bilder zunehmend von einer Leere bestimmt. Es ist der blinde Fleck, der sich zum schwarzen Nichts ausbreitet. Schwarze Scheiben vor das Objektiv des Fotoapparates montiert, verdecken Teile des Bildes im Augenblick des Entstehens - frei nach Wilhelm Flusser: "Gegen die Kamera fotografieren!". Vom Nichtsehen und Nichthören erzählt seine Aktion "black bag over the head", Dresden 2004, eine Form der "Andenkenfotografie", die die Amerikaner in Bagdad praktizierten.

Derweilen beschäftigt sich Buchwald mit der Entstehung einer neuen Spezies Mensch, dessen Gesicht zu einer Kamera mutiert. Der so genannte Röhrenmensch, in der Abkürzung "RM", hat als Kopf ein Rohr, durch das er die Welt beobachtet. Dieser vollmediale Mensch mit Tunnelblick sitzt am Eingang einer Höhle und schaut, was vorüber kommt. 2005 gründet er die Wahlalternative Röhre und Mensch, eine Partei mit dem Namen W.A.R.U.M.
Von Menschen in einem finsteren Loch, die die Schatten im Lichte eines Feuers als Welt zu deuten wussten, erzählte schon der griechische Philosoph Platon. Schade, dass sie nicht fotografieren konnten! Vielleicht wäre Buchwald vorbeigekommen und hätte ein Schild "Fotografieren verboten!" aufgestellt.

K. Bringewicht, Berlin, den 12.12.09

 
   
 Konzeptionelle Fotografie

Ich benutze den Begriff "Konzeptionelle Fotografie", da ich keinen besseren zur Verfügung habe. Meiner Meinung nach gebraucht diese Fotografie fotografische Bilder anders als hinlänglich bekannt. Es stehen Zusammenhänge dahinter, ohne deren Kenntnis das Ergebnis unverständlich bleibt.
Das ist der konzeptionelle Ansatz. Er kann eine Haltung, eine willkürliche Festlegung, ein detaillierter Plan sein. Er äußert sich in einer Untersuchung, einem Spiel, einer Inszenierung oder einer Aktion. Die Bilder dieser Fotografen können ohne ihren Ansatz weder verstanden noch beurteilt werden. Die Bewertung erfolgt nach künstlerischen Gesichtspunkten. Der Kanon fotografischer Lichtbildnerei spielt keine Rolle. Die konzeptionellen Fotografen suchen nach Selbstentdeckung, nach Ausdruck über die eigene Person, nach Vereinigung mit der abzubildenden Realität oder benutzen das Medium zur Beweisführung ihrer Theorien. Das Anliegen traditioneller Fotografen ist ein anderes. Ihre Bemühungen haben das Ziel, etwas außerhalb der eigenen Person in möglichst hochwertiger Form zu verbildlichen. Das Gegenüber ist von Interesse, nicht die Darstellung und Befragung des eigenen Ichs, selbst wenn, gelingt es außer im Selbstporträt nie unmittelbar. Um daraus einen neuen Einstieg zu entwickeln, setzt das Selbstverständnis dieser Fotografen eine Grenze.

Nicht zu vernachlässigen ist der alltägliche Umgang mit Fotografie. Hier zeigen sich Widersprüche, ausgelöst durch massenhaftes Produzieren und Konsumieren von Bildern. Dazu bemerkt Rolf H. Krauss: "Die Realität wird ersetzt durch das Bild der Realität …,Träger dieser Entfremdung ist im Grunde jedoch die Fotografie, ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit abzubilden, …"
Die konzeptionelle Fotografie stellt sich diesem Problem, man könnte fast sagen, sie erwächst daraus, was die Haltung, herkömmliche Bildlösungen zu verwerfen und die fotografische Bildherstellung zu hinterfragen belegt. Eine der Ursachen, der Geburtsfehler liegt im fotografischen Verfahren. Mit Hilfe einer technischen Apparatur wird ein Bild der Realität erstellt, ohne daß der Künstler bei dessen stofflicher Erzeugung direkt beteiligt ist (er benutzt er know how, mit dem jeder Unbedarfte ein Bild erstellen kann).


Das ist ein Widerspruch! Er bot oft Anlaß zu Kritik seitens anderer Künstler oder wurde von Fotografen beflissen übergangen. Hier wird Bekenntnis verlangt! Der Gegenstand wird nicht gemalt, gezeichnet oder sonstwie dargestellt, sondern in Form einer Fotografie selbst gezeigt, als handele es sich um ein Spiegelbild oder Abdruck. Das ist eine Provokation gegenüber der etablierten Kunst.
Mit der Benutzung der Fotografie durch die Aktionisten wird die Trennung zwischen Künstler und Gegenstand überwunden. Der Aktionist greift in die abzubildende Realität ein, verändert sie, stellt sich selbst in den (vorher bestimmten) Bildraum. In dieser Vereinigung mit dem Gegenstand wird der Künstler wieder zu einem Teil des Bildes, der durch die maschinelle Bildherstellung verloren geht.
Befrage ich einen konzeptionellen Fotografen, ob er sich vorstellen könnte, auch ohne Kamera zu arbeiten, bejaht er im Gegensatz zum traditionellen Fotografen. Das ist der springende Punkt. Dem Fotografen ist die Fotografie ein Heiligtum. Dem Konzeptionellen nicht! Diese Haltung befähigt ihn in Grenzbereiche vorzustoßen. Er betrachtet die Fotografie als Mittel.

Von Interesse ist, wann geht ein Bereich in den anderen über?
Es handelt sich um ein Foto im traditionellen Sinn, wenn es sich vom konzeptionellen Ansatz soweit entfernt, daß es ohne ihn eine eigene Existenz begründet. Seine Wirkung bezieht es jetzt ausschließlich aus dem bekannten Kanon fotografischer Lichtbildnerei, wie Motiv - Komposition - hochwertige technische Abbildung. Die konzeptionelle Fotografie ignoriert den fotografischen Kanon, führt eine Bedingung gegen Null oder betrachtet ihn als Automatismus. Im Mittelpunkt stehen künstlerische Kriterien, die Botschaft, das Konzept und nicht lohnenswerte Motive, Kamera- und filmtechnische Finessen.

Ich unterschiede drei Gruppen:

1. REINER AKTIONIST
2. FOTOGRAF UND AKTIONIST
3. VISUELLER THEORETIKER


Ausführlicher Text: Katalog Fotografie in Aktion, expose Verlag, Berlin 1991, Seite 74

Kurt Buchwald, Berlin 1987

 
   
 Statement 1983  
  
 
1.
Ich reagiere mit meinem gesamten Körper auf diese Wirklichkeit.
Die Überbetonung optischer und akustischer Reize wird zurückgenommen und auf einen gesamtkörperlichen Reiz bezogen.

DER GRUNDSATZ LAUTET:
ICH FÜHLE
ICH BIN EIN RESONANZKÖRPER!

Ja, ich bin vor allem Körper, bin wirklich
Bewege mich durch diese Wirklichkeit
Empfange und sende
BEOBACHTE

Und das sind meine Ergebnisse:
FOTO / FILM / VIDEO
ÜBER DIESE WIRLKICHKEIT
ÜBER MICH
DENN NUR DURCH MICH HINDURCH
ERFAHRE ICH DIE WIRKLICHKEIT
ICH BIN'S DER SCHREIT
NIEMAND ANDERS


2.
FOTOGRAFIEREN BEDEUTET
IN 1. LINIE
DAS EREIGNIS SUCHEN UND
ES FESTHALTEN!

Ich suche nicht die fremden Ereignisse bzw. warte auf sie.
Im übrigen meine ich die einfachen elementaren Ereignisse des Lebens
z.B.:
beim Betreten oder Verlassen eines Raumes, beim Liegen auf einer Wiese, beim Laufen, Gehen oder Stehen.
BEIM EINFACHEN HIERSEIN

3.
ICH INSZENIERE DAS EREIGNIS
Die Wirklichkeit ist eine Summe von Ereignissen, so stellt sie sich dar, so erkenne ich sie. Es muss heißen:

WIRKLICHKEIT = EREIGNIS

 
   
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