"Sich
an der Grenze des Wahrnehmbaren befinden" und von dorther Botschaften an
das geneigte oder verstörte Publikum zu senden, ist ein - wenn nicht DAS
- Credo von Kurt Buchwalds künstlerischer Tätigkeit als Fotograf, Aktionist
und Performer. In dieser Ausstellung wird das besonders deutlich anhand von
Werkkomplexen und Dokumentationen, von happeningartigen performativen Aktivitäten
sowie optischen Experimenten, entstanden während der letzten vierundzwanzig
Jahre, also aus fast einem Vierteljahrhundert. Dabei geht es nicht gemütlich
oder gar gefällig zu. Erwartungen des vordergründig Schönen, einer
gar ästhetizistischen Verdrängung des Abgründigen sowohl der physikalischen
als auch der sozialen Realitäten werden nicht bedient. Idyllen wie bloß
heiter Kurioses, amüsant Unterhaltsames in der üblichen Art eines "Kunst-Gags"
werden nicht angeboten. Es herrscht eine gewisse Strenge - und auch "Gnadenlosigkeit"!
- beim Überschreiten des Zumutbaren und Gewohnten. Das ist kunstgeschichtlich
nicht neu: Befremdliches, vor allem die besagten Abgründe der Welt, des menschlichen
Daseins in seinen inneren und äußeren Aspekten war immer Gegenstand,
Thema und Sujet der Kunst von ihren Anfängen an. Dies alles erreichte dann
aber zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit Dada und Surrealismus einen Höhepunkt
der Selbstreflexion. Der Fotograf Buchwald - in Kenntnis dessen - bringt diese
Methodik auf die Höhe der Zeit, also in die Gegenwart des digitalen Zeitalters,
in die Epoche der historisch gesehen erst seit Kurzem stattfindenden omnipräsenten
Reizüberflutung, einer Inflation der Bilder, Zeichen, Signale. Es sind Botschaften
in visueller Hinsicht, aber darüber hinaus wohl alle Sinne betreffend, also
auch der Klänge - vielmehr der Geräusche, des Lärms -, der Gerüche
- respektive des Gestanks - und Geschmäcker etc. Dabei wird Buchwald sowohl
zum strengen Analytiker als auch zum sensitiven Romantiker. Er "kippt das
Kind nicht mit dem Bade aus", spürt die komplexen Geschehnisse, die
während der Wahrnehmung all dessen, was uns bedrängt und begeistert,
fasziniert, befremdet und abstößt, in und zwischen uns stattfinden
- und damit einem jeden die jeweils eigne Identität verleihen. Kurt Buchwald
gehört gerade noch einer Generation an, die sich ein natürliches Misstrauen
gegenüber der heute immer dominanter werdenden "virtuellen Realität"
bewahrt hat - jener künstlichen, synthetisch-sterilen medialen Wirklichkeit,
der die Jüngeren auf eine scheinbar unumkehrbare Art ausgeliefert sind. Aus
dieser noch "geerdeten" Mentalität heraus leistet er spöttisch
Widerstand, führt vor in welche selbstbetrügerischen- und zerstörerischen
Sackgassen sowohl in technologischer wie auchsozial-kultureller und politischer
Hinsicht diese Entwicklungenführen können. Dennoch ist er kein bloßer
Empörer, gar klassischnaiver Weltverbesserer, sondern
vielmehr ein - auch im unmittelbaren (Bild-) Sinne
- "Himmelsstürmer": | |
Einer der vom "Rande der Welt", über deren Grenzen
hinaus, zu neuen Horizonten gelangen möchte. Er tut das mittels einer "Umkehrung
der Sicht" - wie auch der Untertitel der hiesigen Ausstellung lautet - indem
er dem Wahrnehmungsvermögen wie der Vorstellungskraft neue ungewohnte Orientierungen
und Ziele bietet. Das Große wir verkleinert oder verstellt, das Kleine vergrößert
bis es als eine ganz eigne Welt erscheint. Die Mittel dafür sind minimalistisch,
stilsicher und hochästhetisch. Die Tondi der Renaissance erscheinen als die
adäquate Form um die diffizile Struktur von Elementarzuständen sicht-
und vergleichbar zu machen. Die Kreisform erinnert sowohl an Petrischalen, die
irgendwelche Bakterienkulturen beherbergen, also in Instituten der biochemischen
Grundlagenforschung zum Standardanblick gehören, oder auch an Abbildungen
in astronomischen Katalogen und Atlanten. Die verschiedene Zustände, Phasen,
Anblicke von Himmelkörpern - Fixsternen, Planeten, Monden und ihre wechselnden
Formationen zeigt der Künstler in ihrer unglaublich ästhetischen Schönheit.
Das alles ist aber tatsächlich nur ein Vexierspiel, welches die Grenzen unserer
Wahrnehmung austestet, uns bewusst machen will, wie viel - oder wie wenig - "Wahres"
in der "Wahr-Nehmung" steckt! Das heißt, ständig zu testen,
wie sehr wir eigentlich im Interesse des Selbsterhalts unseren Sinnen, speziell
den Augen, trauen - oder nicht - können und mit dem Verstand, der logischen
Rekonstruktion des Beobachteten "nachjustieren", sprich: korrigieren
müssen. Buchwald weiß darum; ganz speziell, dass auch das fotografische
Abbild nur einen einzelnen, weil perspektivischen Aspekt des Abgebildeten, des
Motivs, Sujets, Gegenstandes aufzeigt. Das Zeichen ist also nie mit dem Bezeichnetem
identisch - obwohl (fast) alles Soziale auf diesen Identifikationen beruht. Genau
hier baut der Künstler seine "Störungen", Verstellungen und
Blockaden der vertrauten Wahrnehmungsmuster ein und auf. In dieser Ausstellung
sind das die "Portraits am schrägen Spalt" des "Amtes für
Wahrnehmungsstörung" - einem quasidadaistischen Projekt Buchwalds -
von 1994 oder die "Kippbilder" aus Marseille, Arles, Rom von 2013, die
Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsvermögen austesten und auf die Probe stellen.
Durch eine "Umkehrung der Sicht" mittels des Blicks durch eine Röhre,
einen Kasten oder das Verstellen durch eine Blende, welche unscharf vor dem -
scharf gestellten - eigentlichen, aber teilweise verborgenen Motiv steht, findet
eine Neubewertung des Objekts statt: Es wird dem Betrachter durch Verfremdung
"nahegebracht", durch Undeutlichkeit wird etwas klar - wir sehen "den
Wald vor lauter Bäumen" wieder! Da sich Kurt Buchwald auch schon immer
für naturwissenschaftliche, speziell physikalische Forschung interessierte,
sind das alles auch Aktivitäten mit experimentellem Charakter. |